Besonders das Online-Marketing profitiert von der Digitalisierung und nutzt diese auf immer kreativere Weise. Es profitiert, weil die Aufmerksamkeit der Menschen immer stärker an digitale Inhalte gebunden ist bzw. dorthin geleitet wird. Dort angelangt, wird es allerdings zunehmen schwierig, diese Aufmerksamkeit auf die eigene Marketingkampagne und damit auf das eigene Produkt zu lenken. Das führt dazu, dass Marketing-Experten immer ausgefeiltere Methoden anwenden, um den Kunden, seine Wahl und sein Erlebnis zu verstehen. Effektiv bedeutet das auch, diese Komponenten zu beeinflussen. Dies macht auch vor dem digitalen Raum nicht halt – doch WIE werden wir beeinflusst? Die Antwort ist gleichzeitig spannend und gruselig.
Neuromarketing – was ist das?
Neuromarketing ist eine kommerziell genutzte Methode, die Erkenntnisse aus der Neuropsychologie ins Marketing einfließen lässt. Das heißt, Informationen darüber, wie Kunden auf kognitive, emotionale oder sensomotorische Reize reagieren. Unter Sensomotorik wiederum versteht man das Zusammenspiel der Sinn- und Bewegungssysteme. Kognition[1] ist die von einem verhaltenssteuernden System ausgeführte Umgestaltung von Informationen. Sprich, Sie werden auf diversen Ebenen beeinflusst, und das oft ohne es zu bemerken. Gezielt, aufeinander abgestimmt, nichts wird dem Zufall überlassen. Bekannte und gelernte Verhaltensmuster von Kunden lassen sich so auch z. B. für Dark Patterns nutzen, einen ausführlichen Artikel dazu finden Sie hier.
Moran Cerf liefert dafür ein anschauliches Beispiel. Ausgehend von der Idee, Coca Cola auf einem Markt zu verkaufen, wurde das Angebot bzw. der Preis quasi dynamisch angepasst. Die grundlegende Idee war, Coca Cola mit einem höheren Preis, basierend auf der Außentemperatur zu verkaufen. Das bedeutet, ab einer Außentemperatur von 30 Grad wird dies von einem Thermometer im Verkaufsautomaten registriert und die Preise für das beliebte Getränk automatisch erhöht – beispielsweise von einem auf drei Euro.
Diese Idee von Coca Cola verursachte empörte Reaktionen. Der Konzern sagte aber, dass man nicht aufgrund des stärkeren Dursts mehr bezahlen müsse, sondern weil man Cola deutlich mehr genießt, wenn man Durst hat und es heiß ist. So gesehen richtet sich der Preis stets nach dem Genusserlebnis der Kunden.
Diese Sichtweise gefiel den Kunden allerdings ebenso wenig, sodass der Konzern zurückruderte, die alten Preise wiedereinsetzte und konstant lies.
Auf der anderen Seite ist es üblich, dass Nachmittagsveranstaltungen (z. B. Theater) im Vergleich zu Abendveranstaltungen günstiger sind. Oder auch dass ein eBook weniger kostet als ein gedrucktes Buch. Das heißt, der Preis ist änderbar, auch wenn der Inhalt gleichbleibt.
Die Kundenerfahrung messen?
Das Problem bei dieser Preisthematik ist, dass es kaum möglich ist, die Erfahrung zu messen, die der Kunde durch das Produkt macht. Das heißt, der Verkäufer kann den Preis nicht davon abhängig machen, wie sehr sein Produkt dem Kunden gefallen hat.
Nun – vergessen Sie das.
Denn mit Neurowissenschaft lässt sich messen, was die konkrete Kundenerfahrung ist, und das seit mittlerweile zehn Jahren. Forscher können durch bestimmte Verfahren Ihr Gehirn sehen, während Sie ein Produkt konsumieren. Davon ausgehend können sie anhand der Daten exakt sagen, wie sehr es Ihnen gefallen hat.
In einem Versuch sollten Probanden Wein nach Geschmack von schlecht bis gut einordnen. Die fünf Flaschen waren mit Preisen von 5 bis 90 Dollar versehen. Die Probanden empfanden den teuren Wein dabei als besonders gut, den billigen dagegen weniger gut – sprich, der Preis hatte einen Effekt auf die Wertung. Ein spezieller Bereich im Gehirn ordnet die gemachten Erfahrungen ein und zeigt, dass der Wein nicht nur aufgrund des Preises höher eingeordnet wurde, sondern auch die Erfahrung beim Trinken besser empfunden wurde. Die „Überraschung“ bei dem Experiment war, dass in allen Flaschen der gleiche Wein war. Lediglich das angebrachte Preisschild war anders und beeinflusste damit auch die Erfahrung, die die Tester machten.[2]
Je nachdem welche Informationen benötigt werden, können verschiedene Verfahren (detaillierte Beispiele) angewandt werden. Magnetresonanztomographie oder Enzephalographie sind selten notwendig; inzwischen können durch das Verfolgen der Augenbewegung (Eyetracking), biometrische Scans oder Mikroexpressionen im Gesicht schon verlässliche Daten erhoben werden. Dadurch lässt sich feststellen, was Aufmerksamkeit erweckt, was verwirrt, wie schnell etwas Aufmerksamkeit bekommt, das Ausmaß der Bindung etc. Diese Informationen geben wir teils offensichtlich preis, wie den Verlauf der Augenbewegung, als auch unwillkürlich wie die Weitung der Pupille.
Wie gelernte Verhaltensweisen ausgenutzt werden
Eine bekannte Verhaltensweise ist beispielsweise, dass sich Menschen z. B. im Supermarkt meist innerhalb eines gewissen Spektrums für den Mittelweg entscheiden. Haben Sie drei Weinflaschen zur Auswahl, die 5 €, 20 € und 50 € kosten, ist es wahrscheinlich, dass sie die Flasche für 20 Euro nehmen. Man möchte nicht den „billigen“ Wein nehmen, aber man ist auch nicht reich…also geht man den Mittelweg. Dieses Verhalten funktioniert aber genauso, wenn eine Flasche für 5 €, eine Flasche für 50 € und eine für 100 € angeboten wird – allerdings bezahlen Sie dann deutlich mehr für den Wein.
Eine andere Möglichkeit, die Preise indirekt zu erhöhen hat eine amerikanische Lebensmittelkette entdeckt. Sie fand heraus, für welche Produkte die Kunden schon einen ungefähren Preis wussten und für welche nicht. Dann senkte sie die Preise für die bekannten Produkte im Vergleich zur Konkurrenz etwas ab und erhöhte die Preise für die Produkte, für die die Kunden keine Referenz hatten. Das Resultat war, dass Kunden die Annahme trafen, dass die Kette besonders günstig sei und so auch andere Produkte kauften – was einen hübschen Gewinn für die Lebensmittelkette bedeutet.
Der Vorteil des Neuromarketing
Der Grund und auch Vorteil für das Neuromarketing ist, dass es akkurat ist. Traditionelles Marketing z. B. mit Hilfe der Meinungsforschung hat Probleme damit, den realen Kunden von der Darstellung des Kunden sich selbst gegenüber zu trennen („Bias“, Voreingenommenheit). Fragen Sie, ob Kunden auch teurere Bioprodukte in einem Bio-Supermarkt der Region kaufen würden, werden Sie große Zustimmung erhalten – eröffnen Sie dann den Bio-Supermarkt sieht das wieder anders aus. Dies liegt in der Tatsache begründet, dass man gerne von sich denkt, man würde z. B. mehr für gesundes Essen zahlen, es dann aber in der Realität selten umsetzt. Das Neuromarketing eröffnet in diesem Bereich eine effizientere Methode, Produkte zu entwerfen und anzubieten.
Anwendung in moderner Technologie
Hat man Sensoren in oder an dem Gehirn platziert, kann man mithilfe neurowissenschaftlicher Verfahren ein Bild davon erhalten, wie das Gehirn aussieht, kurz bevor es eine Entscheidung trifft (das sogenannte „Libet-Experiment“). Die Entscheidung ist dann schon getroffen, bevor sie dem Menschen bewusst wird. Der zeitliche Unterschied kann hierbei bis zu einer Sekunde betragen und bringt allerlei wissenschaftliche und philosophische Fragen mit sich, die das Thema Freier Wille angehen.
Nissan nutzt den Umstand, dass nach einer gewissen Zeit vorhergesagt werden kann, welche Entscheidung man trifft, bevor man sie dann bewusst trifft, für seine neuste Technologie. Mit „V2B“ wird das Gehirn des Fahrers mit seinem Fahrzeug mittels EEG verbunden und die Befehle werden ausgeführt, sobald sie im Gehirn entstehen und noch bevor man sich dessen bewusst wird. Das bedeutet, dass die sogenannte „Schrecksekunde“ dann entfällt.[3]
Mit Hilfe dieser Daten und neuester digitaler Technologie kann damit ein großer Unterschied gemacht werden: Bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h resultiert die Nutzung dieser Technik in einem um 27 m kürzeren Bremsweg. Häufig ist das der Unterschied zwischen Leben und Tod bei einem frontalen Zusammenprall.
Nissan sagt, sie zielen auf Personalisierung ab. Und darauf, herauszufinden, was der Fahrer tun möchte, und ob dies im Widerspruch dazu steht, was ein autonomes Fahrsystem tun würde. Damit kann nun eine KI helfen, dass der Fahrer die richtigen Aktionen zur richtigen Zeit ausführt.
Anwendung im (Online-)Marketing
Neuromarketing bedeutet nicht nur Marketing mit Hilfe bildgebender Hirnscan-Verfahren – es hat auch ganz simple Anwendungen, die Ihnen täglich zuhauf begegnen. Durch den Ankereffekt, der besagt, dass oft die erste Information besonders stark gewertet wird, sind fast alle Menschen beeinflussbar.
Auch die Verlustaversion und künstliche Verknappung ist ein solches Verhalten: „Nur noch x Exemplare verfügbar!“. Teilweise wird der Eindruck sogar noch mit einem Countdown verstärkt, sodass Druck auf den Kunden aufgebaut wird. Der Eindruck entsteht, dass das Produkt nur noch jetzt zu haben ist – zu einem bestimmten Preis. Verlustaversion bedeutet, dass Menschen durchschnittlich den Verlust von 100 Euro höher negativ einschätzen als den Gewinn von 100 Euro positiv. Schafft man es, eine gewisse Bindung zum Produkt zu generieren, kann der Marketing-Fachmann auch mit Verlustaversion arbeiten. Das heißt: Durch Nutzung dieses Wissens höhere Gewinne erzielen.
Fazit
Über die Zeit haben sich im Marketing viele Methoden und Strategien entwickelt, die darauf abzielen, Kunden möglichst schnell und oft zum Kauf eines Produkts zu bewegen. Teilweise ist aber auch nicht der Kauf selbst wichtig, sondern ein anderer Teil des Prozesses – sei es die Datenübermittlung oder auch der Kauf von Zusatzprodukten. Inzwischen kann man mit moderner Technologie und besonders potenziell in Kombination mit Datenbanken und KI diese Methoden noch effektiver einsetzen. Ein Beispiel ist die Gesichts- und Emotionserkennung per KI – diese funktioniert über eine detailgetreue Analyse der Mikroausdrücke im Gesicht und ist so mit dem Eyetracking verwandt. Ein wichtiger Unterschied liegt allerdings noch darin, dass das Eyetracking in Echtzeit erfolgt und man einen Verlauf analysieren kann – wenn der Kunde sich durch das Menü der Homepage klickt beispielsweise.
Es ist wichtig, zu realisieren wie diese möglichen Erkenntnisse genutzt werden. Ethische Fragestellungen müssen oft dem zu verdienenden Geld den Vortritt lassen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die angewandten Methoden den Kunden dann gar nicht auffallen und das Unternehmen dahinter quasi heimlich Gewinne macht. Solche Methoden lassen sich im Rahmen der Digitalisierung noch besser umsetzen, da es nun möglich ist, die dafür relevanten Daten zu erheben und sie kommerziell zu nutzen. Und dann liegt es am Verbraucher, seinen Protest auszudrücken – genau wie die Menschen, die nicht 3 € für eine kleine Cola zahlen wollen, weil es heiß ist und dann das Erlebnis besser sei!
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Kognition
[2] https://www.insead.edu/news/2017-why-expensive-wine-tastes-better
[3] https://www.bitbrain.com/blog/nissan-brain-to-vehicle-technology