Beim Verkauf von Waren, in denen ein digitales Herz schlägt, muss der Verkäufer künftig Updates zum Erhalt der Funktionsfähigkeit bereitstellen
Viele Waren – unter anderem solche, die im Smart Home eingesetzt werden – besitzen ein digitales Herz, das heißt, sie funktionieren nur dann wie es Dinge derselben Art üblicherweise tun, wenn auf dem integrierten Rechner ein Betriebssystem und eine Anwendungssoftware aufgespielt sind. Um von technischen Entwicklungen nicht abgehängt zu werden und die Funktionsfähigkeit und damit die Brauchbarkeit der Waren dauerhaft zu erhalten, sind Updates erforderlich. Dies nicht zuletzt auch aus Sicherheitsgründen, denn ein System, das heute noch als sicher gelten kann, wird möglicherweise bald schon zu einem Angriffsziel wie z.B. der Angriff auf die von der Deutschen Telekom ausgegebenen Router vor zwei Jahren bewiesen hat.
Neue EU-Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenkaufs
Am 26. März 2019 hat das Europäische Parlament mit 629 Stimmen bei 29 Gegenstimmen und sechs Enthaltungen den Text einer neuen Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenkaufs sowie zu Änderung mehrerer anderer Rechtsakte angenommen. Damit verfolgt der europäische Gesetzgeber unter anderem das Ziel, das Recht des Warenkaufs an aktuelle Gegebenheiten vor allem, aber nicht ausschließlich des Online-Handels anzupassen. Daher soll die neue Richtlinie auch für den stationären Handel Wirkung entfalten. Eines der vorrangigsten Ziele der Neuregelung ist es, ein hohes Verbraucherschutzniveau in einem funktionierenden digitalen Binnenmarkt zu gewährleisten und die Transaktionskosten insbesondere für KMU zu senken (Erwägungsgrund 3).
Bestandteil der neuen Richtlinie ist unter anderem eine Neujustierung des Begriffs des Sachmangels. Diesbezüglich spielen künftig auch die digitalen Elemente, die eine Ware zum erwartungs- und bestimmungsgemäßen Funktionieren benötigt eine wichtige Rolle. Der europäische Gesetzgeber trägt einerseits der Tatsache Rechnung, dass Hard- und Software nicht notwendig gemeinsam erworben werden und grenzt die Pflichten der beteiligten Verkäufer insoweit gegeneinander ab. Ferner wird vorgesehen, dass das Bereitstellen von Aktualisierungen im Vertrag über den Erwerb einer Ware explizit von den Vertragsparteien geregelt werden kann (Erwägungsgrund 28). Gegenstand einer solchen Vereinbarung kann ausdrücklich auch die Erweiterung des Funktionsumfangs der Ware oder der darin enthaltenen digitalen Elemente sein.
Allerdings erkennt der europäische Gesetzgeber die Notwendigkeit, die Funktionsfähigkeit der Ware mit digitalem Herz dauerhaft zu erhalten und dies unter anderem aus Gründen der IT-Sicherheit das Aufspielen von Updates zwingend erforderlich erscheinen lässt. Dies folgt der Erkenntnis, dass eine heute sichere Anwendung im Zuge des technischen Fortschritts zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr sicher eingesetzt werden könnte und danach vernünftigerweise außer Betrieb genommen werden müsste. Insbesondere bei für den Verbraucher verhältnismäßig hohen Investitionen würde ein solches Szenario den Gegenwert der Ware erheblich schmälern. Man stelle sich vor, die intelligente Heizung müsste wegen des Verlusts der IT-Sicherheit der Smartphone-App, mittels derer sie bedient wird, vollständig ausgetauscht werden. Für solche Fälle möchte der europäische Gesetzgeber durch die „Update-Verpflichtung“ eine Funktionserhaltungspflicht regeln (Erwägungsgründe 30, 31).
Nimmt der Käufer von dem Verkäufer bereitgestellte Updates nicht an, so gehen daraus resultierende Fehler der Ware, die bis zur Aufhebung der Gebrauchstauglichkeit führen können, nicht zu Lasten des Verkäufers. Dieser soll nur für nicht oder nicht richtig bereitgestellte Aktualisierungen haften müssen. Das bedeutet, der Erwerber wird nicht aus seiner Verantwortlichkeit, für die eigene Sicherheit zu sorgen und seine Dinge funktionsfähig zu erhalten entlassen. Diese Neujustierung hat der europäische Gesetzgeber eine ganze Reihe neuer Vorschriften verteilt und so ein neues System der Gewährleistung im Verbrauchsgütergeschäft auch für Mängel des digitalen Herzens von Waren geschaffen.
Konsequenzen für die Praxis
Im Ergebnis schafft der europäische Gesetzgeber mit der neuen Richtlinie nicht völlig neues Recht, sondern trägt der technischen und gesellschaftlichen Entwicklung Rechnung, in der immer mehr smarte Waren Bestandteil des Internet of Things werden. Aus der Vergangenheit ist bekannt, dass Betriebssysteme und Software veralten, Lücken und Angriffsfläche sich erst sukzessive zeigen und dann aber auch recht rasch ausgenutzt werden. Gerade bei hohen Investitionen ist es nicht nur ärgerlich, sondern ein Ausschlusskriterium für den Warenerwerb, wenn die zu erwartende Nutzungsdauer wegen fehlender Aktualisierungen des digitalen Herzens nicht erreicht werden kann. Auch wäre es kaum im Sinne von Umweltschutz und Nachhaltigkeit, wenn an sich funktionsfähige Güter wegen verhältnismäßig kleiner Fehler nicht mehr ihre Funktion erfüllen könnten oder dürften. Mit der Grundverpflichtung der Verkäufer, für die über die typische Lebenserwartung reichende Dauer stets funktionserhaltende Aktualisierungen bereitzustellen, wird dem entgegengewirkt.
Die nächsten Schritte
Bislang ist die neue Richtlinie lediglich verabschiedet. Sie wird demnächst im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht werden. Richtlinien werden in den Mitgliedstaaten der Union und damit auch in Deutschland nicht unmittelbar zum anzuwendenden Recht. Sie müssen vielmehr in nationales Recht umgesetzt werden. Dazu ist ein so genanntes Umsetzungsgesetz erforderlich, das je nach Regelungsgegenstand mehrere Gesetze und Verordnungen im jeweiligen Mitgliedstaat ändert. Zur Arbeit an dem Umsetzungsgesetz lässt der europäische Gesetzgeber den nationalen Gesetzgebern zwei Jahre gerechnet von der Veröffentlichung der Richtlinie im Amtsblatt an Zeit.
Wie schnell zwei Jahre vergehen, hat sich im Zuge des Anwendbarwerdens der Regelungen der Datenschutz-Grundverordnung gezeigt. Obgleich der Zeitraum von Anfang an bekannt war, brach vor allem in den letzten Wochen vor dem 25. Mai 2018 rege Betriebsamkeit aus, da viele Unternehmer die zur Verfügung stehende Zeit nicht effizient zur Vorbereitung auf die Neuerungen nutzten – ein idealer Zustand für selbsternannte Berater und Experten und ihre teils höchst fragwürdigen Angebote. Allerdings ist kein Fehler so schlecht, als dass man nicht wenigstens daraus lernen könnte: wer sich bereits jetzt sukzessive darauf einstellt, dass ihm in gut zwei Jahren eine „Update-Pflicht“ auferlegt wird, wer sich mit den ihm auferlegten Pflichten auseinandersetzt und deren Inhalt und Grenzen kennt, kann sich ganz ohne Eile seine Geschäftsprozesse auf die neuen Bedingungen ausrichten.